Delas Kolumne – Die Schnelligkeit der Deutschen
veröffentlicht am 15.10.2017
Dela ist TSC-Tutorin und verbringt zur Zeit drei Monate in Frankreich. Die fremden Eindrücke animieren sie dazu, darüber nachzudenken, was zu Hause in Deutschland typisch ist.
Ich stehe im französischen Supermarkt mit sieben weiteren Personen in der Schlange an der Kasse. Die Kassiererin lässt sich Zeit mit jedem einzelnen Artikel und hält ein Pläuschchen mit dem Kunden vor mir. Alle Kunden wirken völlig gelassen. Ich denke daran, wie man in Deutschland ein Stöhnen aus der Schlange hören würde und Sätze wie: „Das kann doch nicht wahr sein.“ oder „Können Sie nicht eine zweite Kasse öffnen?“
Es scheint, als hätten die Deutschen nie Zeit. Wir sind permanent gestresst durch unser eigenes Leben. Entweder wird gearbeitet oder das Privatleben akribisch durchgeplant. Spontanität und innere Ruhe bleiben dabei häufig auf der Strecke.
Alles muss schnell und schneller gehen. Bei jedem Bäcker gibt es den Coffee to go; Internetanbieter schlagen sich gegenseitig mit noch schnellerem Internet; Fotokopierer drucken problemlos 50 Blatt pro Minute.
Um den Anforderungen des beschleunigten Lebenstempos gerecht zu werden, baut die Deutsche Bahn stetig neue Schnellfahrstrecken, auf denen die Züge mindestens 200 km/h fahren. Auf einigen Strecken werden die ICEs sogar 300 km/h schnell.
Auch auf den Autobahnen fahren die Deutschen hin und wieder über 200 km/h. Es dürfte wohl jedem bekannt sein, dass Deutschland eines der wenigen Länder der Erde ist, in dem kein generelles Tempolimit auf Autobahnen herrscht. Es gibt zwar eine sogenannte Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, doch an diese muss man sich nicht halten. Sie ist vielmehr ein Vorschlag. Immerhin sind ca. 40% der Autobahnabschnitte dauerhaft oder zeitweise geschwindigkeitsbeschränkt. Auf den restlichen 60% der Strecken dürfen die Deutschen so schnell fahren wie sie können.
Schnell ist auch die Deutsche Post. Sie wirbt damit, dass 95% aller Briefsendungen innerhalb Deutschlands am Folgetag ankommen. Auch wenn die Ergebnisse unabhängiger Tests nicht ganz so gut abschneiden, gehört die Deutsche Post immer noch zu den schnellsten und zuverlässigsten Postanbietern in Europa.
Weil alles so schnell geht, müssten wir eigentlich mehr Zeit haben als je zuvor. Doch scheinbar kommt es uns nicht so vor. Wir leben in einer Welt permanenter Sinnesreize, denen wir uns nicht entziehen können. Wir werden bombardiert mit Whatsapp-Nachrichten und neuen Posts auf Instagram und Pinterest. Die will man nicht verpassen. Im Schnitt gucken wir 80 mal täglich auf unser Smartphone und verbringen so circa drei Stunden am Handy. Unsere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sind so vielfältig und einladend, dass wir uns zuladen mit Freizeitprogramm und Aufgaben. Nicht selten haben wir drei oder mehr Termine an einem Tag. Da wundert es mich nicht, dass wir dem Eindruck unterliegen, keine Zeit zu haben.
Ob die Franzosen mehr Zeit haben als die Deutschen, weiß ich nicht. Doch offenbar verstehen sie es besser, gelassen zu bleiben, wenn sie wissen, dass es ohnehin nicht schneller geht. An der Supermarktkasse zum Beispiel.