Delas Kolumne – Der deutsche Spießer
veröffentlicht am 20.08.2017
Dela ist TSC-Tutorin und verbringt zurzeit drei Monate in Frankreich. Die fremden Eindrücke animieren sie dazu, darüber nachzudenken, was zu Hause in Deutschland typisch ist.
In der Nähe von Fontainebleau gibt es Teiche, an denen ich mit meinem Hund spazieren ging. Schilder annoncierten, dass Hunde an der Leine zu führen und Baden verboten seien. Kurz darauf entdeckte ich zahlreiche Einheimische, die in den Teichen schwammen und deren Hunde fröhlich ins Wasser sprangen. Ein Mann erklärte mir, an die Gebote würde sich niemand halten. Ich dachte daran, wie man in Deutschland von Passanten hören würde: „Leinen sie ihren Hund an!“ Und „Sie wissen schon, dass hier Baden verboten ist?“
Über die Deutschen sagt man, sie seien Spießer. Das Wort Spießer ist abwertend und bezeichnet engstirnige Personen, welche Wert darauf legen, gesellschaftliche Normen, Sitten und Regeln zu beachten. Sie sind gegenüber Veränderungen verschlossen und orientieren sich am Urteil anderer.
Passend dazu sind die Deutschen bekannt für ihre Pünktlichkeit. Sich auf Zeitangaben verlassen zu können, wird in Deutschland in der Tat gern gesehen. Zu einer offiziellen Verabredung kommt man besser 3 Minuten zu früh. Unter Freunden wird selbstverständlich durchaus toleriert, wenn man 15 Minuten später erscheint.
Die Deutschen gelten als ordentlich. Ein deutsches Sprichwort sagt: Ordnung ist das halbe Leben. Für alles in Deutschland gibt es eine Ordnung, eine Regel oder ein Gesetz; somit ist immer klar, wie man sich im Schwimmbad zu verhalten hat, unter welchen Bedingungen, wann und wo ein Hund angeleint werden muss und wie weit ein Busch über den Gartenzaun zu den Nachbarn herüber wachsen darf. Allzu gern regt sich der Spießer auf, sobald gegen die Ordnung verstoßen wird. Nicht, weil es immer Sinn macht, sondern aus Prinzip.
Beispiele dafür, wie akribisch wir den Vorschriften folgen, finden sich viele. Die Straßenverkehrsregeln einzuhalten ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Alfons, ein französisch-deutscher Kabarettist, beschrieb es folgendermaßen: „Ich weiß nicht, warum sie die Berliner Mauer gebaut haben. Eine rote Ampel hätte es auch getan.“
Auch unsere Mülltrennung ist wohl repräsentativ dafür, wie akkurat die Deutschen sein können. Beim Thema Müll ist mit den deutschen Spießbürgern nicht zu scherzen. Fast zwanghaft trennt ein Großteil der Deutschen ihren Müll nach komplizierten Regeln.
Ordnung herrscht nicht nur im deutschen Regelwerk, sondern häufig auch in unseren Haushalten. Ebenso wie Sauberkeit. Ist etwas besonders sauber, nutzen wir gern den Begriff „reinlich“. In Schwaben – der Region um Stuttgart – ist die „Kehrwoche“ Tradition. Kehren ist ein anderes Wort für fegen. In Mehrfamilienhäusern ist jede Partei im wöchentlichen Wechsel eingeteilt, Treppenhaus, Hauseingang und den Bereich vor dem Haus zu säubern. Wahrscheinlich ist die Kehrwoche ein Grund dafür, warum die Schwaben den Ruf haben, besonders spießig zu sein.
Ja, es gibt sicher eine Vielzahl an kleinlichen Deutschen. Es würde uns bestimmt nicht schaden, wenn wir von unseren eingefahrenen Vorschriften mal abweichen würden. Dann würde es beim nächsten Spaziergang eher heißen: „Ach cool, hier wird nicht kontrolliert? Lasst uns baden gehen!“